KI-Bier: Künstliche Intelligenz braut Bier

KI-Bier Deeper von MN Brew

Adrian Minnig, technischer Leiter der Schweizer Mikrobrauerei MN Brew, ist auf Tradition bedacht. Doch seit Neuestem greift er bei der Rezeptentwicklung auch auf künstliche Intelligenz zurück. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen und die ersten Gehversuche beim KI-Bier in der Brauerei.

MN Brew – Craft-Beer-Brauerei aus der Schweiz

Herr Minnig, stellen Sie uns bitte zunächst Ihre Brauerei MN Brew vor?

Unsere Brauerei ist wirklich klein. Wir bilden zwar ein Team von insgesamt sechs Mitarbeitern, sind aber für die Brauerei alle nur im Nebenberuf tätig. Wobei man noch nicht einmal von einem richtigen Nebenberuf sprechen sollte. Eigentlich betreiben wir die Brauerei als Hobby und sind alle in Vollzeit in einem anderen Job beschäftigt. Vom Zeitaufwand muss man allerdings sagen, dass es sich um ein ziemlich ambitioniertes Hobby handelt. Zusammengelegt investieren wir zurzeit geschätzt zwei Stellen in Vollzeit in die Brauerei.

Entstanden sind wir 2015 aus einer Schnapsidee heraus. Einer aus unserem Team wollte ursprünglich Whisky herstellen. Er ist dann darauf gekommen, dass er dafür zuerst Bier produzieren müsste. Oder zumindest etwas Bierähnliches. Und so hat er angefangen, auf einem 30-Liter-Heimbrausystem Bier zu brauen. In der Folge sind immer mehr Leute zum Team dazugestoßen.

Unsere erste eigene Brauanlage haben wir aus Edelstahl-Töpfen selbst gebaut und automatisiert. Wir haben uns dann aber sehr schnell – im Jahr 2017 – ein professionelles 500-Liter-Sudhaus gekauft und dazu vier Gärtanks. Auf dieser Anlage arbeiten wir bis heute.

Und wir machen in der Brauerei wirklich alles selbst – vom Brauen, Abfüllen bis zum Etikettieren, alles bei uns in unseren 120 Quadratmetern. Wenn es für uns gut läuft, dann brauen wir einmal wöchentlich, im letzten Jahr war es wegen Corona natürlich etwas weniger.

Adrian Minnig (Foto: MN Brew/Minnig)

Adrian Minnig ist technischer Leiter der Mikrobrauerei MN Brew, Rothenburg, Schweiz. Er setzt dort die „elektrischen Ideen“ um. Wenn Minnig nicht in der Brauerei steht, ist er als Logistics Engineer in einem militärischen Unterhaltsbetreib tätig.

KI-Bier brauen dank Hochschulprojekt

Lassen Sie uns über „Deeper“ reden, das Bier, das Sie mithilfe künstlicher Intelligenz gebraut haben. Wie sind Sie als regionale, hobbymäßig betriebene Craft Bier-Brauerei (Biermanufaktur) zu diesem Projekt gekommen?

Einer aus unserem Team ist an der Hochschule Luzern als technischer Mitarbeiter angestellt. Über seine Anstellung an der Hochschule ist der Kontakt zu Kevin Kuhn, dem Initiator des KI-Projekts, zustande gekommen. Kuhn wusste, dass wir auch schon vorher oft mit der Hochschule zusammengearbeitet haben, vor allem in Kunstprojekten für die Gestaltung unserer Etiketten. Er wollte wissen, ob wir die Möglichkeit sehen, in dem Projekt zum Bierbrauen mit künstlicher Intelligenz mitzuwirken. Die Arbeitsgruppe der Hochschule ist dann bei uns vorbeigekommen und hat sich Brauerei und Brauanlage angeschaut, um sich überhaupt zu informieren, wie der Prozess beim Bierbrauen abläuft.

Moment, das heißt, das Team der Hochschule hatte zwar bereits eine Software zum Brauen von Bier mit künstlicher Intelligenz entwickelt, wusste aber noch gar nicht im Detail, wie das Bierbrauen praktisch funktioniert?

Die Studenten der KI-Arbeitsgruppe haben eben nach Anwendungen für ihre Software gesucht. Während ihres Studiums haben sie bereits einen Rezeptgenerator für Speisen entwickelt. In diesem Projekt ging es um die Zusammenstellung eines Menus. Sie bekamen die Chance, in der Mensa der Hochschule Luzern vom dortigen Küchenchef ein komplettes Essen nach KI-Rezept herstellen zu lassen. Das hat hervorragend funktioniert, und am Abend beim Bier kam die Idee auf: „Wenn das für Essen gut funktioniert, dann wird das wohl für Getränke auch funktionieren!“ Und für das Bier haben sie sich entschieden, weil ihnen das selbst am meisten Spaß machte. Bei ihren Recherchen ist die Arbeitsgruppe der Hochschule im Netz auf Bierrezepte gestoßen. Auf Basis dessen, was sie selbst aus diesen Rezepten interpretiert hatten, fingen sie an, ihre KI für Bier zu entwickeln.

Der erste Wurf der KI war dann vielleicht auch noch etwas naiv. Das waren im Wesentlichen Malz- und Hopfenangaben in Prozent. Dass Temperaturen und Zeiten ebenfalls eine sehr wichtige Rolle beim Brauen spielen, das war den Leuten der Hochschule zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht klar.

Sie konnten dann in der Brauerei für Klarheit sorgen?

Ganz genau, das Hochschulteam ist nach ihrem Besuch bei uns nochmal zurück ins Labor gegangen, hat ihre KI-Software umgebaut und weiterentwickelt. Nun kamen von der Zusammensetzung der Rohstoffe her „braubare“ Rezepte dabei heraus. Die KI berücksichtigt jetzt z.B. auch die maximalen Anteile von Spezialmalzen und die Kochzeiten beim Hopfen. Eine große Herausforderung für Version 2.0 wird noch darin bestehen, die Rasttemperaturen und -zeiten in die KI einzuarbeiten.

Und diesen zweiten Wurf der KI konnten Sie dann – abgesehen vom Maischeprogramm – gleich vollkommen übernehmen und loslegen?

Karl Geiger (li.), Produktionsleitung MN Brew, mit Kevin Kuhn von der Hochschule Luzern (Foto: MN Brew/Minnig)

Wir als Brauer mussten in einigen Details noch einige Parameter vorgeben. Den angestrebten Alkoholgehalt haben wir z.B. in unserer Brausoftware festgelegt. Es war zwar nicht so, dass die KI ein vollkommen fertiges Rezept ausgearbeitet hätte, aber im Großen und Ganzen konnten wir das Rezept nach den Vorgaben der KI mit einigen Anpassungen entsprechend umsetzen.

Wahrscheinlich steckt die KI in diesem Bereich doch noch ein bisschen in den Kinderschuhen. Wir haben auch geprüft, ob die KI bei ganz unterschiedlichen Bierstilen und -rezepten funktionierende Rezepte erzeugt. Bei einem ersten Blick auf 100 Rezepte, die uns die KI erstellt hat, konnten wir bei etwa 80 sagen: „Ja, die sehen gut aus, die können wir direkt so umsetzen!“

Um welchen Bierstil handelt es sich bei dem KI-Bier „Deeper“?

Letztendlich haben wir uns für ein Session IPA entschieden, weil wir unter 6 Vol.-% Alkohol bleiben wollten. Es ist ein typisch amerikanisches IPA, fruchtig, helle Farbe und sehr erfrischend. Die KI hat tatsächlich noch Laktose als Zutat vorgeschlagen, das ist vielleicht einer der wirklich spannenden Punkte an dem Rezept. Da wären wir selbst nicht draufgekommen. Die Laktose als nicht vergärbarer Zucker gibt dem Bier noch etwas Restsüße.

Planen Sie bereits weitere Sude mit der Hochschule Luzern zusammen?

Unsere Idee ist es, ein- oder zweimal im Jahr ein KI-Bier zu brauen. Einen Sud, 500 Liter. Das Ziel soll sein, der KI nicht hineinzusprechen. Was sie an Rezepten ausgibt, wird gebraut. Für unsere Kunden ist das sehr spannend, wenn sie wissen, dass wir mit Sicherheit immer wieder etwas Neues im Sortiment führen, was sie noch nie getrunken haben.

Zehntausende Rezepte als KI-Datenbasis

Auf welcher Basis arbeitet denn die KI? Abstrakte Regeln oder konkrete Rezepte?

Die KI hat die Rezepte der https://www.brewersfriend.com/ verarbeitet. Auf dieser Plattform tauschen sich Heim- und Hobbybrauer aus und teilen ihre Rezepte. Insgesamt sprechen wir da von rund 160 000 Rezepten, die die KI analysiert und in ihre Logik aufgenommen hat.

Also kann man fast schon von Schwarmintelligenz sprechen, die die Basis für die Rezepte der KI bildet.

Ja, das könnte man vielleicht sagen. Andererseits mussten wir auch feststellen, dass in manchen der Rezepte auch noch Fehler enthalten sind und man deshalb sehr vorsichtig mit den Rezepten sein muss. Auf der Plattform gibt es nämlich letztlich keine Form der Qualitätssicherung. Irgendjemand hat ein Rezept einmal eingestellt, aber ob das Ergebnis dann gut oder schlecht gelungen ist, dieser Rückgabewert ist auf brewersfriend.com nicht vorgesehen.

Traditionelles Brauhandwerk trifft künstliche Intelligenz: Würzekühlung für „Deeper“ (Foto: MN Brew/Minnig)

Wäre es möglich, dass das die KI überprüft und dem Hobbybrauer eine Prognose mitteilt, ob seine Rezeptidee gut oder schlecht ist?

Wir hatten eine ähnliche Idee: Eine Datenbank speichert durch die KI generierte Bierrezepte. Wenn man das Bier nachbraut und verkostet, kann man der KI sozusagen sein Feedback geben. Mit diesem Feedback versetzt man die KI dann in die Lage zu lernen bzw. immer bessere Rezepte zu entwickeln.

Respektiv um noch einen Schritt weiterzugehen: Vielleicht kann man irgendwann auch fragen, wie das beste Pilsner-Rezept für die Region Süddeutschland aussieht. Denn hier ist der Geschmack ja wahrscheinlich anders ausgeprägt als in der Schweiz beispielsweise.

Klare Empfehlung für Brauer

Wie lautet Ihr Fazit zur Rezeptentwicklung mit künstlicher Intelligenz?

Inzwischen haben wir schon drei Sude von „Deeper“ gebraut, und das Bier verkauft sich sehr gut! Ich würde es jedem Brauer empfehlen, sich einmal auf das Abenteuer KI-Bier einzulassen. Allein schon, weil es die Möglichkeit eröffnet, Zutaten zu entdecken, auf die man vielleicht so nicht gekommen wäre. Ich hatte ja bereits die Idee der KI erwähnt, dem Sud Laktose beizugeben. Daneben hat sie uns zwei Hopfensorten vorgeschlagen, deren Aromaprofil wir vorher absolut nicht kannten. So brachte uns die KI darauf, uns hier einzulesen und diese neuen Sorten für uns zu entdecken.

Herr Minnig, herzlichen Dank für das Gespräch!


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